Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät - Geographisches Institut

Mission Statement

heidi-sandstrom-120382.jpgGeographische Transformationen in Forschung und Lehre

Wir verstehen Geographie als eine Disziplin, welche die Beziehung und den Austausch zwischen den Menschen und ihrer Umwelt untersucht. In ganz unterschiedlichen Kontexten beforschen wir weltweit, wie diese Interaktion stattfindet und wie sie sich auf räumliche Strukturen und Gesellschaften auswirkt. Hierfür ziehen wir ein breites Spektrum sowohl qualitativer als auch quantitativer Methoden und Theorieansätze heran. Dies beinhaltet insbesondere die Untersuchung der vielfältigen Geographien gekoppelter Mensch-Umwelt-Systeme im Kontext globaler Veränderungsprozesse wie beispielsweise dem Klimawandel, dem Landnutzungswandel, der Globalisierung, der Urbanisierung und dem globalen Artensterben. Grundlegend für unsere Forschung ist die Erkenntnis, dass sich Material- und Energieflüsse, Migrationsprozesse oder Informations-, und Kapitalströme zunehmend nicht mehr mit Hilfe traditioneller Dichotomien wie ‚global vs. lokal‘, ‚urban vs. rural‘ oder ‚anthropogen vs. natürlich‘ erklären lassen. Wir sind davon überzeugt dass neue theoretische und methodische Ansätze essentiell sind, um kausale Zusammenhänge aufzudecken, Veränderungen über zeitliche und räumliche Skalen hinweg zu untersuchen, um kritische Kipppunkte zu identifizieren und um die fortwährende Transformation des Mensch- Umwelt-Verhältnisses zu verstehen. Die konsequente Zusammenführung der an unserem Institut vertretenen Teildisziplinen erlaubt es uns aus vielfältigen Perspektiven an der übergreifenden Forschungsfrage

Wie kann Geographie ein besseres Verständnis von Mensch-Umwelt-Transformationen ermöglichen?

zu arbeiten. Zwei arbeitsgruppenübergreifende Forschungsgruppen, einerseits die Land Systems Research Group und andererseits die Urban Systems Research Group, widmen sich dieser Frage. Ihnen gehören Forscherinnen und Forscher aller Qualifizierungsstufen an, von Doktorandinnen und Doktoranden bis zu leitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Die Forschungsgruppen sind bewusst diametral zu Fächergrenzen angelegt, da neue Erkenntnisse und Ansätze für Forschung an erkenntnistheoretischen und ontologischen Reibungspunkten entstehen. Das Geographische Institut der Humboldt-Universität zu Berlin bietet ein herausforderndes und gleichzeitig stimulierendes akademisches Umfeld für exzellente Forschung zu systemischen Transformationen in der menschlichen Wahrnehmung, Nutzung und Transformation des Planeten.

 

Land Systems Forschungsgruppe

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(C) Thomas Richter via unsplash

 

Urban Research Group

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(C) Mike Kononov via unsplash

Die Überformung von Landschaften durch den Menschen sowie andere (meist indirekt anthropogene) Treiber des Landnutzungswandels stellt eines der charakteristischsten Merkmale des Anthropozäns dar und ist auf vielfältige Weise mit den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts verknüpft, sei es die Sicherung der globalen Nahrungsmittelsicherheit, der Klimawandel, oder das weltweite Artensterben. Zu verstehen, warum und wo Landnutzungsänderungen stattfinden und wie diese sich auf Biosphäre und Gesellschaften auswirken, ist deshalb von herausragender Bedeutung im Kontext nachhaltiger Entwicklung. Weltweit verändern sich Mensch-Umwelt-Beziehungen und mit ihnen auch Landschaften. Vielfältige Globalisierungsprozesse koppeln die Entwicklung räumlich weit voneinander entfernt liegender Landschaften miteinander und führen zugleich zu räumlichen Entkopplungen – beispielsweise bei Erzeugung und Konsum von Nahrungsmitteln. Neue Akteure wie Großinvestoren und Nichtregierungsorganisation spielen eine immer stärkere Rolle, neue Landnutzungsstrategien wie ‚Land Grabbing‘, aber auch der Schutz von Ökosystemleistungen gewinnen an Bedeutung. Gleichzeitig verändern sich im Zuge zunehmender Urbanisierung die Beziehungen zwischen Städten und ihrem Hinterland sowie die Rolle der Städte in gekoppelten Mensch-Umwelt-Systemen. Bodenpreise steigen rasant, und mit der Intensivierung des Wettbewerbs um Boden verschärfen sich politische und wirtschaftliche Konflikte, die wiederum essentielle Fragen von Gerechtigkeit, Partizipation und Ethik aufwerfen. Selbst dort, wo Land nicht unmittelbar für menschliche Zwecke genutzt wird, verändern sich Ökosysteme, beispielsweise aufgrund des Klimawandels. Um die Dynamiken der Landnutzung und ihrer Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt besser zu verstehen, sind neue theoretische und methodische Ansätze erforderlich. Die Land Systems Research Group stellt sich diesen Herausforderungen, indem sie die Triebkräfte und kausalen Zusammenhänge, die zu Landnutzungsänderungen führen, analysiert, die geographische Muster dieser Änderungen kartiert und deren Auswirkungen erforscht sowie Rückkopplungsmechanismen und multidirektionale Ströme von Energie, Wissen oder Materie über große Entfernungen hinweg verfolgt. Die Land Systems Research Group nutzt hierzu räumlich explizite Konzepte und Methoden wie Feldexperimente, Fernerkundung und Geoinformationsverarbeitung, Geostatistik sowie statistische und prozessbasierte, räumliche Modellierungsansätze. Gleichzeitig steht insbesondere auch die Verknüpfung mit Methoden zur Untersuchung von Interaktionen zwischen Akteuren und Land im Vordergrund, wie beispielsweise der Analyse globaler Wertschöpfungsketten, der Netzwerkanalyse, der Beurteilung von Umweltgerechtigkeit. Geographisch fokussiert die Land Systems Research Group insbesondere auf Südostasien, Lateinamerika, Osteuropa und die ehemaligen Sowjetunion.

 

Weltweit lebt heute über die Hälfte der Menschen in Städten und der Anteil der urbanen Bevölkerung wächst weiter. Städte haben daher einen rasant wachsenden ökologischen Fußabdruck. Immer mehr Ressourcen aus allen Teilen der Welt werden in urbanen Räumen verbraucht. Zugleich werden traditionelle Verknüpfungen von Stadt und Umland entkoppelt. So führt beispielsweise die zunehmende urbane Nachfrage nach Fleisch, aber auch nach biologisch angebautem und fair gehandeltem Kaffee zu Landnutzungsänderungen und sozial-ökologischen Auswirkungen in weit entfernten Regionen, im Fall von Kaffee etwa in Vietnam, oder im Fall der Fleischproduktion in Argentinien und Paraguay. Die Intensivierung von Handelsbeziehungen, die globale Verfügbarkeit von Informationen, die Multilokalität von Haushalten oder die zunehmende funktionale Bedeutung periurbaner Räume stellen das konventionelle Bild der Stadt als Konglomerat von Siedlungsgebieten in Frage. Eine zentrale Frage der Urban Research Group ist daher, wie Urbanität adäquat verstanden, bestimmt, gemessen und erklärt werden kann.

Die Urban Research Group geht davon aus, dass das "urbane Zeitalter" die Entwicklung von theoretischen Konzepten, Fragestellungen und gemischten Forschungsmethoden erfordert, die in der Lage sind, die Komplexität urbaner Systeme zu erfassen. In ihrer Arbeit stützt sie sich daher auf eine Kombination von qualitativen Ansätzen (z. B. Interviews, Umfragen, teilnehmende Beobachtung) und quantitativen Werkzeugen (z. B. Feldmessungen, Fernerkundung, GIS, Geodatenmodellierung, Statistik). Geographisch konzentriert sich die Gruppe vor allem auf Berlin und Brandenburg, einen urban-regionalen Kontext mit langer Tradition als räumlicher Forschungsgegenstand, der es erlaubt, aktuelle Themen wie Umweltgerechtigkeit, gesunde Lebensweisen, urbane Ökosystemleistungen (einschließlich Böden und Mikroklima), Gentrifizierung, urbane Landwirtschaft, städtische Infrastruktur und Stadtplanung in ihrer gesamten Komplexität und globalen Vernetzung, aber auch ihrer Pfadabhängigkeit zu untersuchen. Dies wird ergänzt durch Stadtforschung im sogenannten Globalen Süden, zum Beispiel in Lateinamerika, im südlichen Afrika und in Südostasien, wo nicht zuletzt informelle Siedlungen natürliche Ressourcen und Landnutzung verändern.

 

 

 

 

Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin, Sommer, 2018.