Historie des Geographischen Instituts
Der Weg der modernen, heute besser "klassisch" genannten Geographie ist eng mit der Berliner Universität verknüpft. Von hier aus sind national wie international bedeutende Impulse und prägende Anregungen ausgegangen. Zwar wurde Geographie schon lange anfast allen deutschen Universitäten gelesen, doch geschah dies in dem weiten Rahmen von Theologie, Philosophie, Mathematik und Statistik (Staatenkunde). Als dann im Herbst 1810 der Lehrbetrieb an der neu gegründeten Berliner Universität, der späteren Friedrich-Wilhelms-Universität (ab 1828) und heutigen Humboldt-Universität (ab 1949), aufgenommen wurde, war auch die Geographie durch Johann August Zeune (1778-1853), den Direktor der Berliner Blindenanstalt und Erfinder des Blindenglobus, mit einer außerordentlichen Professur vertreten. Zeune hatte sich mit seinem Lehrbuch "Gea" (1808) einen Namen gemacht und 1809 einen geographischen Verein ins Leben gerufen, der jedoch in den Wirren der Befreiungskriege wieder unterging. 1835 zog sich Zeune, inzwischen ganz im Schatten Carl Ritters (1779-1859) stehend, vom geographischen Lehrbetrieb zurück.
Ritter, der mit den ersten beiden Bänden seiner "Erdkunde im Verhältniß zur Natur und zur Geschichte des Menschen" (1817/18) die Aufmerksamkeit des preußischen Generalstabs auf sich gezogen hatte, wurde 1820 an die Berliner Allgemeine Kriegsschule und auch an die Berliner Universität als ao. Professor der "Erd-, Länder-, Völker- und Staatenkunde" berufen. 1825 wurde diese zweite ao. Professur in eine ordentliche der "Länder- und Völkerkunde und der Geschichte" umgewandelt, die Ritter bis zu seinem Tode (1859) innehatte. Zu Beginn seiner Tätigkeit stieß Ritter allerdings auf ein völliges Desinteresse der Studenten, denn das Image der Geographie wurde von der Erfahrung bestimmt, eine reine Gedächtnisfolter zu sein. Doch schon bald stellte sich der Lehrerfolg des erfahrenen Pädagogen ein, der der Geographie eine neue Problemorientierung gab und sie als selbständige Universitätsdisziplin zu legitimieren verstand. Ritter mußte man gehört haben! Auch Karl Marx und Wilhelm Rabe waren dabei. Manche seiner ausländischen Zuhörer gelten noch heute in ihren Ländern als bahnbrechende Geographen. So zog Carl Ritter in seiner langen Lehrtätigkeit ein für die Geographie aufgeschlossenes Publikum heran, das mit dafür sorgte, daß sich das Image des Faches positiv veränderte; denn dieses Fach hörte man freiwillig und nur äußerst selten in der Absicht, Geograph zu werden. Denn ein Beruf zum Brotverdienen war dies nicht.
Neben der regelmäßigen Lehre Ritters ist der Stimmungsumschwung zugunsten der Geographie vor allem Alexander von Humboldt (1769-1859) zu verdanken, der sich übrigens im WS 1834/35 auch zu Ritter auf die Hörbank setzte. Humboldt war 1827 auf Wunsch des preußischen Königs von Paris nach Berlin zurückgekehrt und hielt hier im Winter 1827/28 seine begeistert aufgenommenen Kosmos-Vorlesungen ab, die er in einer Parallelveranstaltung auch vor einem breiteren Publikum wiederholte. Im Anschluß an diese Vorlesungen kam es zur Gründung der "Gesellschaft für Erdkunde", der zweitältesten der Welt nach der 1821 in Paris gegründeten. Ihr erster "Director", Carl Ritter, führte dieses Amt mit nur kurzen Unterbrechungen bis zu seinem Tode, 1859, und war der belebende Geist ihrer Sitzungen, Alexander von Humboldt ihr Spiritus rector im Hintergrund. Aufgabe der Gesellschaft war es damals, erdkundliches Wissen zu verbreiten, Forschungsreisende zu fördern und Expeditionen auszurüsten. Noch heute trägt sie u.a. durch die Organisation von Kolloquien, Tagungen und Exkursionen sowie durch die von ihr herausgegebenen Zeitschrift "Die Erde" zum Wissenschaftsaustausch in der Geographie bei.
Nach Ritters Tod blieb der Lehrstuhl zunächst unbesetzt, und die Haushaltsmittel wurden anderweitig vergeben. Erst 1874 wurde mit Heinrich Kiepert (1818-1899) wieder ein ordentlicher Professor für Geographie in Berlin installiert. Er war Fachmann für Historische Kartographie und lehrte bis zu seinem Tode, 1899, die Geographie im Geiste Ritters, so daß er dieunter den jüngeren Geographen sich bemerkbar machende naturwissenschaftliche Ausrichtung des Faches als einseitig erlebte. Ihm folgte auf Betreiben v. Richthofens noch in Kieperts Todesjahr Wilhelm Sieglin (1855-1935), der das neu eingerichtete "Seminar für historische Geographie" leitete und die Geographie als Hilfwissenschaft der Geschichte betrieb. Erfolg war ihm nicht beschieden. 1914 trat er aus gesundheitlichen Gründen von seinem Amt zurück.
Der führende Vertreter der oben schon angesprochenen naturwissenschaftlichen Richtung der Geographie war der von der Geologie herkommende berühmte Chinaforscher Ferdinand von Richthofen (1833-1905), der erst in Bonn und seit 1883 in Leipzig Geographie lehrte und 1886 vom preußischen Kultusminister Althoff auf den neueingerichteten Lehrstuhl für Physische Geographie an der Berliner Universität berufen wurde. Am 1. April 1887 wurde das Geographische Institut der Berliner Universität durch v. Richthofen begründet, das sich zunächst in der Schinkelschen Bauakademie befand, 1902 aber in die Georgenstraße nahe dem Bahnhof Friedrichstraße umzog. Hier etablierte sich auch das ebenfalls von ihm geleitete, 1900 gegründete Institut für Meereskunde sowie das 1906 eröffnete Museum für Meereskunde. Unter seiner Ägide wurde dieGesellschaft für Erdkunde, die er als ihr wiederholter Präsident ganz besonders förderte, zu einem Mittelpunkt der deutschen und internationalen geographischen Arbeit. Glanzvoller Höhepunkt der Tätigkeit v. Richthofens war der Internationale Geographentag, der 1899 in Berlin stattfand. Aus seinem stark besuchten Colloquium gingen zahlreiche bedeutende geographische Forscher hervor, die Lehrstühle im In und Ausland besetzten. v. Richthofens Plan, ein an die Berliner Universität angebundenes Zentralinstitut zu schaffen, das neben der theoretischen Pflege der gesamten Geographie (als Wissenschaft von der Erde) besonders ihre praktische Anwendbarkeit entwickeln und betreiben sollte, um den überseeischen politischen und ökonomischen Interessen des Deutschen Reiches zu dienen, war jedoch kein Erfolg beschieden.
Mitten aus dem wissenschaftlichen Schaffen herausgerissen, verstarb Ferdinand v. Richthofen überraschend 1905. Ihm folgte in Ordinariat und Direktorat 1906 der international ebenfalls schon viel beachtete Albrecht Penck (1858-1945), der seit 1885 eine Professur für Physikalische Geographie in Wien besaß. Penck war durch seine alpine Eiszeitforschung berühmt geworden, durch die er erstmals den gesicherten Nachweis von drei getrennten Eiszeiten erbrachte, hatte ferner die durch v. Richthofen als selbständigen Zweig der Geographie begründete Geomorphologie weiter ausgebaut und sich durch länderkundliche Arbeiten qualifiziert. Auch in seiner Berliner Zeit brachte er die geomorphologische undklimageographische Forschung voran. Wiederholt äußerte er sich seit dem Ersten Weltkrieg zu politisch-geographischen Fragen und lieferte mit seiner "Volks- und Kulturboden"-Theorie der deutschen Volkstumsforschung, die in den 1920er Jahren aufblühte, Schlüsselbegriffe für den Revisionismus und darüber hinaus. Schwerpunkt seines Schaffens aber war bis zuletzt die Alpen- und Eiszeitforschung, als deren führender Vertreter er national wie international auch zu seiner Berliner Zeit galt. Wie v. Richthofen, leitete Penck bis 1921 in Personalunion das Geographische Institut und das Institut und Museum für Meereskunde. Seine Initiativen, durch Wiederbesetzung des Ritter-Lehrstuhls sich ganz auf Physische Geographie konzentrieren zu können, blieben erfolglos. Ritters Lehrstuhl ging in den Wirren des Ersten Weltkriegs unter, Pencks Arbeitsbelastung blieb.
Eine besondere Bedeutung für die Entwicklung der Geographie sollte die Besetzung der Leitung der wirtschaftsgeographischen Abteilung des Instituts für Meereskunde mit Alfred Rühl (1882-1935) bekommen. Rühl wandte sich gegen die ältere naturwissenschaftliche Auffassung der Geographie, die den Menschen nur unter dem Einfluß der physiogeographischen Gegebenheiten betrachtete, und forderte eine sozialwissenschaftliche Fundierung der Wirtschaftsgeographie, als deren Vordenker und eigentlicher Gründer er heute gilt.
[Eine ausführliche Würdigung Rühls finden Sie hier]
Auf den weltberühmten Eiszeitforscher Albrecht Penck folgte im Ordinariat 1927 der Länderkundler Norbert Krebs (1876-1947), der ein Schüler Pencks war und wie sein Lehrer schwerpunktmäßig geomorphologisch arbeitete. Neben seinen großen regionalen Studien zu den österreichischen Alpen sowie Vorderindien und Ceylon widmete er sich der deutschen Landeskunde und beschäftigte sich, wie Penck, mit Grenz- und Deutschtumsfragen. Auch Fragen der länder- und landschaftskundlichen Methodologie interessierten ihn.
Im März 1931 wurde das Geographische Institut in die Universitätsstraße 3b verlegt.Mit dem Ende des zweiten Weltkrieges wurde die Universität mit ihren bisherigen Strukturen, einschließlich des Geographischen Instituts, zunächst aufgelöst. Aber bereits 1946 öffnete die Berliner Universität wieder ihre Pforten und wurde am 8. Februar 1949 in Humboldt-Universität zu Berlin umbenannt.
Das als Nachfolgeeinrichtung des Geographischen Instituts der Vorkriegszeit an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät angesiedelte neue Institut wurde von Harry Waldbaur (1888-1961), Walter Behrmann (1882-1955), Fritz Haefke (1896-1980) und Herbert Lembke (1905-1983) geleitet. Es war aber im Gegensatz zu seinem Vorgänger ausschließlich physisch-geographisch ausgerichtet. Parallel dazu war an der Wirtschaftswissenschaftlichen, später der Philosophischen Fakultät, ein Institut für Politische und Ökonomische Geographie gebildet worden, das in starker ideologischer Anbindung an die politischen Gegebenheiten in der DDR humanwissenschaftliche Disziplinen der Geographie vertrat. 1966 wurden beide Institute unter dem Namen Geographisches Institut der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zusammengelegt. Aus ihm ging 1968 unter Einbeziehung der Methodik des Geographieunterrichts die Sektion Geographie der Humboldt-Universität hervor.
Nach 1989 erfolgte an der Sektion Geographie eine grundlegende fachliche, personelle und organisatorische Umstrukturierung, in deren Ergebnis das heutige Geographische Institut als leistungsfähige Lehr- und Forschungseinrichtung in der Mathematisch-Naturwissenschatlichen Fakultät entstand, das mit seinen Lehrgebieten allen Teildiziplinen der Geographie gleichermaßen gerecht wird. Im Februar 1994 zog das Geographische Institut in die Chausseestraße 86, wo es bis zum Umzug nach Adlershof im September 2003 residierte.
Seit September 2003 ist das Geographische Institut in der Wissenschaftsstadt Adlershof angesiedelt. Es verfügt dort über ein eigenes Institutsgebäude, das aus einem Altbau- und einem Neubauteil besteht, über eigene Lehrräume verfügt und sämtliche Infrastrukturen des Instituts beherbergt. Derzeit besteht das Institut aus zwölf wissenschaftlichen Abteilungen sowie den Zentralen Diensten und hat etwa 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Einen kurzen Abriss der Geschichte der Kartensammlung des Geographischen Instituts finden Sie hier.