Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät - Geographisches Institut

Wer kann's? Der Geograph!

Eine Ferienregion in der Krise, es muss etwas passieren. Doch wo liegen überhaupt die Stärken dieses Gebiets? Welche Zielgruppe will man ansprechen? Was ist vorhanden an Infrastruktur, was muss angelegt werden? Ein neues Tourismus-Konzept muss her, neue Werbemedien müssen entworfen, eine Anzeigenkampagne geplant werden.

Wer entwirft? Eine Geographin.

Sie hat sich im Studium mit der naturräumlichen Ausstattung von Regionen befasst. Sie kennt sich aus im Umweltschutz und den entsprechenden Gesetzen. Sie hat Ahnung von Kartographie und kann eine vernünftige Wander-Broschüre herausgeben.

Die Truppen sind längst abgezogen, die Kaserne ist noch da. Bevor die Altlasten beseitigt werden, muss erst einmal klar sein, was mit dem riesigen Areal geschehen soll. Ein neues Gewerbegebiet? Eine Fachhochschule? Ein ganz neuer Stadtteil mit Wohnungen, Kindergarten, Schule, Einzelhandel? Eine Potenzialstudie muss her.

Wer beurteilt? Ein Geograph.

Er hat in Seminaren und Forschungsprojekten Siedlungsstrukturen untersucht. Er hat Statistiken zum Wohnungsmarkt und bedarf erstellt. Er weiß, dass man Fördermittel für die Neu-Nutzung solcher Areale beantragen kann.

Ein großer Autokonzern will sein Vertriebsnetz straffen. Trotzdem soll es niemand weiter haben als 15 Kilometer bis zum nächsten Händler oder zur Werkstatt. Wo sollen diese Betriebe also stehen, wenn sie zugleich schnell mit Ersatzteilen beliefert werden müssen und nicht im Nirgendwo sein sollen?

Wer plant? Eine Geographin.

Sie hat sich intensiv mit Software befasst, die Statistiken und Räume miteinander verbindet und dies dann graphisch darstellt. Sie kann korrigieren, falls der Computer unpraktikable Lösungen vorschlägt.

Achte Klasse, Erdkunde. 30 Schüler wollen etwas über die Welt wissen, in der sie leben. Was heißt Globalisierung? Warum flüchten Hunderttausende vor einem Bürgerkrieg im inneren Afrika? Warum kommt mein Gameboy aus Malaysia? Mit längsten Flüssen und höchsten Bergen lassen sich diese Schüler nicht mehr abspeisen.

Wer bildet? Ein Geograph.

Er hat im Lehramtsstudium gelernt, dass Erdkundeunterricht mehr ist als das Auswendigler­nen von Hauptstädten. Und er weiß vor allem, wie sich Jugendliche für die Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt begeistern lassen.

Geographen können nicht alles. Sie sind keine Geologen, die Grundlagenforschung zur Lagerstättenkunde betreiben. Sie sind keine Biologen, die die Lebensräume einzelner Käferarten genau beschreiben können. Sie sind keine Verkehrswissenschaftler, die sagen können, welchen Querschnitt eine Straße haben muss, wenn sie 7431 Autos pro Tag und Richtung aufnehmen muss. Sie sind auch keine Stadtsoziologen, Meteorologen, Wirtschaftswissenschaftler, Bodenkundler oder Agrarwissenschaftler. Aber sie sind ein bisschen von allem, bringen jenes Querschnittswissen mit, das gerade in Zeiten immer weitergehender Spezialisierung zunehmend wichtig wird.

Gerade weil das Fach so vielseitig ist, hat sich eine grundlegende Zweiteilung herausgebildet. Die Physische Geographie (oder Physiogeographie) stellt die Erforschung der natürlichen Umwelt in den Mittelpunkt. Als Beispiel mag die Eiszeitforschung gelten, die vergangene Klimaereignisse und ihre Auswirkungen auf unsere heute Umwelt untersucht. Die Humangeographie (oder Anthropogeographie) setzt beim Menschen und den räumlichen Konsequenzen seines Handelns an. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Einzelhandelsforschung, die sich mit Kundenströmen, Anbieterstrategien und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beschäftigt.

Während Geographen früherer Jahrhunderte wie der eine Namenspatron der Universität, Alexander von Humboldt vor allem weiße Flecken auf der Landkarte untersuchten und unbekannte Regionen beschrieben, hat die moderne Geographie einen eher analytischen Ansatz. Theorien und Modelle spielen eine große Rolle, wenn über das beobachtete Einzelphänomen hinaus eine Erklärung gegeben, Zusammenhänge hergestellt, Handlungsempfehlungen beispielsweise für Politik oder Geschäftsstrategien formuliert werden sollen.

Die Fragestellungen, denen sich die Geographie widmet, können von sehr unterschiedlicher Dimension sein. Ob es auf lokaler Ebene um das beschriebenen Kasernenareal geht, auf regionaler Ebene ein Vertriebsnetz aufgebaut werden soll oder ob auf globaler Ebene die Gründe für die Verarmung der Dritten Welt untersucht werden: In allen Fällen werden spezifische Kenntnisse (also wissenschaftliche Inhalte) verlangt und weit über das Fach selbst hinausreichende Fähigkeiten (wissenschaftliche Methodik) erwartet.

Darum ist das Geographiestudium an der Humboldt-Universität zunächst breit angelegt und bietet später die Möglichkeit zur Spezialisierung.

Während der ersten vier Semester, im Grundstudium, geht es um einen Einblick in viele der geographischen Teilgebiete. Dabei wird auch klar, dass Siedlungsgeographie und Bodenkunde nur scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Eine erste Annäherung mit raumrelevanter Statistik, mit Kartographie und Labormethoden gehören in dieser Phase ebenso dazu wie Exkursionen in Natur-, Siedlungs- und Wirtschaftsräume.

Im darauf folgenden Studienabschnitt spezialisieren sich die Studierenden auf einen Bereich, der sie besonders interessiert oder in dem sie sich die besten Berufschancen erhoffen. Weitere Exkursionen, oft auch ins Ausland, sind in dieser Phase ebenso gefordert wie Praktika und eine vertiefte Beschäftigung mit methodischen Fragen. Auch die Beschäftigung mit geo-informatischer Software nimmt eine wichtige Rolle ein. Den Abschluss des Studium bildet eine Diplom-, Magister- oder Examensarbeit zu einer oft recht spezifischen Fragestellung.

Die Beobachtung, Erklärung und Gestaltung räumlicher Strukturen und Prozesse ist eine wichtige Aufgabe für Umwelt und Gesellschaft.

Und wer kann das? Die Geographin, der Geograph.

Text: Jörg-Peter Rau